Flächenschutz und Wohnungsbau – beides ist möglich

 

Artikel der OGL im Mitteilungsblatt vom 15.11.2018

Es ist sehr erfreulich, dass sich nun auch die beiden großen Naturschutzverbände Baden-Württembergs NABU und BUND zum Thema Flächenschutz und Wohnungsbau klar positioniert haben. In einem „Faktenpapier“ zum Parlamentarischen Abend des NABU am 07. November in Stuttgart haben sie dargelegt, wie scheinbar gegensätzliche Positionen unter einen Hut gebracht werden können. Zur Teilnahme an diesem Abend hatten sich immerhin 26 Landtagsabgeordnete der Grünen, der SPD und der CDU (darunter Verkehrsminister Hermann) angemeldet. In dem Papier wird beschrieben, was getan werden muss, um den gravierenden Zielkonflikt anzugehen. Die Eingangszahlen sind zunächst erschreckend: Der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg hat sich mit 7,9 Hektar pro Tag gegenüber 2016 mehr als verdoppelt! Gefährdet sind damit u.a. die biologische Vielfalt, Erholungsräume und wertvolles Ackerland. Die beiden Naturschutzverbände beurteilen die weitere Zersiedelung des Landes durch zunehmenden Flächenverbrauch der Gemeinden als unverantwortlich! Dem können wir uns nur anschließen. Allerdings wird auch nicht verkannt, dass die Bevölkerung in Baden-Württemberg gewachsen ist (um 4,4%) und die Zahl der einzelnen Haushalte sich erhöht hat (um 5,9%). Bedarf sehen die Verbände vor allem bei jungen Familien im urbanen Raum, Erwerbstätigen mit geringen Einkommen und bei einkommensschwachen Rentnern. Die Ausweisung von Neubaugebieten mit Einfamilienhäusern wird als nicht zielführend abgelehnt. – Auch diese Position haben wir immer wieder vertreten, auch wenn wir damit auf wenig Gegenliebe bei den anderen Fraktionen gestoßen sind. Wie soll nun der gordische Knoten nach Auffassung der Verbände gelöst werden?  Einige der Vorschläge richten sich an das Land: das Land soll z.B. eine „Baulandumlage“ einführen, mit der die Gemeinden verpflichtet werden, für neue Überbauungen einen „Umlagebetrag“ zu entrichten. Das Geld fließt dann aber nicht in die Landeskasse und verschwindet dort, sondern geht an einen „Bodenfonds“, der es den Kommunen ermöglicht, Grundstücke und Immobilien zu erwerben. Diese sollen – möglichst im Erbbaurecht zur Vermeidung von Spekulationen – an Bauträger zur Schaffung von dauerhaft preiswertem Wohnraum verpachtet oder von der Gemeinde selbst zur beschriebenen Bedarfsdeckung verwendet werden. Ein weiterer Vorschlag aus dem wahren Füllhorn an Ideen besteht darin, dass Gemeinden sich  zusammenschließen und Vermietungsgesellschaften gründen, die Wohnraum erwerben oder anmieten und zu günstigen Bedingungen weitergeben. Eine aktive Bodenpolitik sei besonders auf Gemeindeebene wichtig, wobei kostengünstige Geschosswohnungen Vorrang haben sollen und der Bau altersgerechter Wohnungen, preiswerter Wohnungen für junge Familien und die Verwirklichung innovativer Ansätze  - Stichwort Mehrgenerationenwohnen -  angestrebt wird. Hierzu können wir auf unsere Veranstaltung vom 21. September verweisen, die genau diese Punkte zum Thema hatte. Wir freuen uns über die Initiative der Verbände, die in vielen Punkten auch unserer Auffassung entspricht. Sie ist auf unserer Homepage nachzulesen. (TH).

 

Flächenschutz und Wohnungsbau – wir wollen beides“

 

Faktenpapier zum Parlamentarischen Abend

am 7. November 2018

 

Kontakt

 

BUND Baden-Württemberg

Tel. +49 (0)711 620306-0

Fax  +49 (0)711 620306-77

Brigitte.Dahlbender@bund.net

 

NABU Baden-Württemberg

Tel. +49 (0)711.9 66 72-27

Fax  +49 (0)711.9 66 72-33

Johannes.Enssle@NABU-BW.de

 

 

 

Wir stehen vor einem gravierenden Zielkonflikt. Mit 7,9 Hektar pro Tag hat sich der Flächenverbrauch gegenüber 2016 mehr als verdoppelt. Dies ist nicht allein auf statistische Sondereffekte zurückzuführen. Wir entfernen uns weiter von einem sparsamen Umgang mit Grund und Boden. Bedroht sind hierdurch die biologische Vielfalt, wertvolle Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Erholungsräume und hochwertige Ackerböden. Eine weitere Zersiedlung des Landes durch zunehmenden Flächenverbrauch der Gemeinden ist unverantwortlich. Zentrales Ziel von BUND und NABU ist daher auch weiterhin die schnellstmögliche Reduzierung des Flächenverbrauchs auf „Netto Null“.

 

Es gibt in Baden-Württemberg einen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Zwischen 2011 und 2017 ist die Bevölkerung aufgrund des Zuzugs aus anderen Bundesländern um 4,4% gewachsen, die Zahl der einzelnen Haushalte stieg um 5,9%. – verantwortlich hierfür sind vor allem zunehmend allein wohnende meist jüngere Erwerbstätige und viele alleinstehende Ältere. Laut einer Studie des Landes müssten bis 2025 rund 485.000 Wohnungen in Baden-Württemberg geschaffen werden. Es gibt vor allem kein ausreichendes Angebot an bezahlbaren und altersgerechten Wohnungen. Im Zentrum der Wohnungspolitik müssen dabei aus Sicht von BUND und NABU folgende Zielgruppen stehen: Junge Familien im urbanen Raum, Erwerbstätige mit geringem Einkommen und in prekären Arbeitsverhältnissen sowie Bezieherinnen und Bezieher kleiner Renten. Neubaugebiete mit Einfamilienhäusern sind nicht zielführend, um den Wohnraumbedarf zu decken. Die Siedlungspolitik im Land muss sich auf bezahlbare Mietwohnungen, altersgerechte Wohnungen und die Vermeidung künftiger Leerstände in den Einfamilienhausgebieten aufgrund des demografischen Wandels und einer alternden Gesellschaft (immer mehr alleinlebende Senioren) konzentrieren.

 

 

 

Landespolitische Kernforderungen von BUND und NABU

 

Wohnungspolitische Strategie des Landes

 

-          Das Land erstellt einen regionsbezogenen Plan zur künftigen Lösung der Wohnraumnachfrage („road map“). Hierbei ist neben der Vermeidung weiterer Landschaftsversiegelung der Schwerpunkt darauf zu legen, vorhandenen Wohnraum effizienter zu nutzen.
Laut einer aktuellen Studie des Landes müssen bis 2025 rund 485.000 Wohnungen in Baden-Württemberg neu gebaut oder erweitert werden. Diese Globalprognose muss auf Ebene der Regionen und Kreise „heruntergebrochen“ werden. D.h. zu ermitteln, wo fehlen unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und der Herausforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes welche Wohnungen für welche Bedürfnisgruppen? Und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus  für die städtebaulichen Dichtewerte?  Die Ergebnisse dieses Plans dienen als Vorgabe für die Regional- und Flächennutzungsplanung.

 

 

 

Stärkung der Innenentwicklung

 

-       Eine Bodenbevorratungspolitik wird zum zentralen Instrument kommunaler Daseinsvorsorge. Die Kommunen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erwerben verstärkt geeignete Grundstücke im Innenbereich, die sie – zur Vermeidung von Bodenspekulation - vorzugsweise im Erbbaurecht an Bauträger zur Schaffung von dauerhaft preiswertem Wohnraum verpachten oder selbst bebauen. Dabei werden langfristige Vorgaben für soziale und ökologische Standards gemacht. Die Erbbaupacht wird so kalkuliert, dass sie ggf. die Kreditzinsen für das Grundstück und für die Erschließungskosten trägt. Das Instrument der kommunalen Vorkaufsrechte nach BauGB ist zu stärken bzw. zu nutzen. (Preistreiber des Immobilienmarktes in den Städten sind vor allem der Grundstückspreis, nicht die reinen Baukosten eines Hauses. So stiegen die Bodenpreise z.B. in Berlin in den letzten 5 Jahren um sagenhafte 345 Prozent an, während die Baukosten in den letzten 10 Jahren „nur“ um 36 Prozent anstiegen.)

 

-       Einführung eines Instruments „Innenentwicklungsmaßnahme“ im BauGB zur gezielten Aktivierung innerörtlicher Brachflächen und Baulücken. Darauf wirkt das Land beim Bund hin. Vorbild ist das Instrument der „Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“.

 

-       Einrichtung und Förderung von „Kompetenzzentren Stadtplanung“ auf Ebene der Regierungspräsidien. Viele vor allem kleinere Kommunen sind personell nicht in der Lage, eine vorausschauende strategische Siedlungsplanung zu betreiben. Diese sollen von den Kompetenzzentren beraten und befähigt werden, innovative städtebauliche Konzepte zur Innenentwicklung umzusetzen. Hierbei ist der Natur- und Artenschutz ebenso zu beachten und nachzuweisen wie der Klimaschutz.

 

-       Das Land entwickelt Instrumente, die die Gemeinden im ländlichen Raum verpflichten, verbindliche Rahmenpläne zur Entwicklung ihrer Ortskerne und zur Innenentwicklung des Gemeindegebiets vorzulegen.

 

-       Das Land verbessert die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, vorhandene innerörtliche Leerstände zügig zu aktivieren, die Umnutzung von Brachen voranzutreiben sowie Baulücken in städtebaulich integrierten Lagen zu schließen. Dabei sind insbesondere Instrumente wie Leerstandsabgabe, Zweckentfremdungsverbot etc. zu stärken, landesweit rechtssicher zu ermöglichen und von den Kommunen umzusetzen. Das im BauGB verankerte Baugebot ist von Land und Kommunen durchzusetzen.

 

-       Das Land startet eine Initiative zur Aufstockung von Gebäuden und zur Überbauung von Verkehrsflächen, insbesondere des ruhenden Verkehrs. Hier liegen bislang unausgeschöpfte Potenziale zur Schaffung neuen Wohnraums. Das Land fördert entsprechende Initiativen und Projekte vor allem in den großen Beständen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften.

 

-       Das Land bewirbt aktiv das Instrument einer Konzeptvergabe von Grundstücken. Demnach werden städtische Grundstücke nicht zum Höchstpreis an Investoren veräußert, sondern zum Festpreis, abhängig von den gebotenen städtebaulichen und wohnungspolitischen Konzepten, die vertraglich fixiert werden können.

 

 

 

Verhinderung des Flächenverbrauchs im Außenbereich

 

-       Das Land führt eine „Baulandausweisungsumlage“ (BLAU) ein. Bei dieser haben die Kommunen einen am Flächenumfang neuer Überbauung bemessenen Umlagebetrag (z.B. 20 Euro pro Quadratmeter) an das Land abzuführen. Damit ergäbe sich für die Kommunen der Anreiz, mit der begrenzten Ressource Bodenfläche „sparsamer“ umzugehen. Um eine finanzielle Mehrbelastung der Kommunalebene zu vermeiden, sollte das Umlageaufkommen etwa nach einem Einwohnerschlüssel – auf die Kommunen zurückerteilt werden. Flächenausweisungsintensive Kommunen wären damit Nettozahler des BLAU-Fiskalsystems, Öko-Kommunen dagegen Nettotransferempfänger.

Der Erlös sollte zweckgebunden in einen „Bodenfonds Baden-Württemberg“ fließen. Dieser soll Kommunen ermöglichen, Grundstücke und Immobilien zu erwerben bzw. verstärkt Innenentwicklung zu betreiben. Die Umlage wird somit vollständig den Kommunen zurückgegeben. Bundes- und weitere Landesmittel zum sozialen Wohnungsbau sollen ebenfalls darin einfließen.

 

-       Das Land setzt sich für die Abschaffung von § 13b BauGB ein. Erfahrungen zeigen, dass vor allem in kleineren Gemeinden § 13 b BauGB vorzugsweise zur Ausweisung von flächenintensiven Einfamilienhausgebieten eingesetzt wird. Dies dient nicht dem Ziel der Schaffung preisgünstigen Wohnraums.

 

-       Die Plausibilitätsprüfung für Bauflächenbedarfsnachweise wird aktiv weiterentwickelt. Der Prüfumfang sollte sich nicht nur auf den Flächenumfang beziehen, sondern auch auf die Frage, ob die angestrebte Bebauung  dem Ziel der Schaffung preisgünstigen Wohnraums dient. In jeder Bedarfsberechnung ist die Zahl der aktuell leerstehenden Gebäude zu erheben. Der Rückgang der Belegungsdichte wird aus der Plausibilitätsprüfung entfernt. Er verfälscht nur den Bedarf.

 

 

 

Sicherung und Schaffung preisgünstigen Wohnraums

 

-       Nach dem Vorbild des "Salzburger Wohnungsbaufonds" wird vom Land ein revolvierender (sich selbst wieder auffüllender) Fonds aufgelegt. Dabei holen sich die meist gemeinnützigen Bauträger ihre Kredite zum Bau der Sozialwohnungen nicht mehr bei der Bank, sondern bekommen das Geld aus dem Fonds. Die Einnahmen aus den Mieten gehen nicht mehr indirekt über die Zinszahlungen an die Banken, sondern die Zinsen und Tilgungen werden an den Wohnbaufonds zurückbezahlt. Damit sind billigere Mieten und mehr Bauvolumen möglich.

 

-       Die derzeitige Landeswohnraumförderung betrifft nur relativ kleine Marktsegmente. Sie muss modernisiert und – auch finanziell – ausgeweitet werden in Richtung eines umfassenden Förderprogramms für den kostengünstigen sozialen und frei finanzierten (Miet-)Wohnungsbau mit hohen (energetischen) Standards auf Vorrangstandorten im Innenbereich mit guter Anbindung an den ÖPNV. Entsprechende Finanzmittel und Förderungen des Landes werden auf diesen Bereich konzentriert. Zur Erreichung der Klimaschutzziele müssen die energetischen Standards deutlich erhöht werden.

 

-       Die Kommunen gründen Vermietungsgesellschaften (vorzugsweise auf Kreisebene), die leer stehenden Wohnraum anmieten, ggf. grundsanieren und an finanziell schlechter gestellte Gruppen weitervermieten. Den Vermietern werden Mieteinnahmen (in vernünftiger Höhe) und die Instandhaltung der Wohnung garantiert.

 

-       Das Land fördert und unterstützt die Kommunen bei der Neugründung von kommunalen und interkommunalen Wohnungsbaugesellschaften sowie Genossenschaften und Baugemeinschaften, die integrativ planen und kostengünstig bauen und das Zusammenleben in Vielfalt kostengünstig und nachhaltig realisieren.

 

-       Der Bau kostengünstiger Geschosswohnungen muss Vorrang haben. Dazu ist eine aktive Bodenpolitik notwendig.  Bei der Grundstücksvergabe sind der Bau altersgerechter Wohnungen, preiswerter Wohnungen für junge Familien sowie Projekte und Baugruppen mit innovativen Ansätzen wie z.B. Mehrgenerationenwohnen zu bevorzugen.

Sobald mehr solcher Angebote auf dem Markt sind, werden auch mehr Senioren ihre untergenutzten Familienwohnungen für junge Familien frei machen können. Das wird durch Maßnahmen wie Bewusstseinsbildung und Umzugsmanagement unterstützt. Zusätzliche Wohnraumpotenziale können auch durch Kampagnen wie „Wohnen gegen Hilfe“ vor allem in Universitätsstädten erschlossen werden.